
Karate-EM.....und ich mittendrin
April 2006, Schänzle-Halle in Konstanz. Die Halle ist voller blauer Matten, Flaggen sämtlicher europäischer Länder (ob man sie nun kennt oder nicht) und Menschen in weißen Anzügen mit verschiedenfarbigen Gürteln um die Hüfte. Auf der Tribüne Hunderte von Menschen, die anfeuern, verrückte Schweizer, die nichts anderes mehr rufen zu können scheinen als "Hopp, Schwiz", Fahnen Schwingende Schweden, Menschen, die immer wieder zusammen zucken, wenn einer der Karateka auf den Boden fällt.....
Und mittendrin: ich..... (wie schon erwähnt, nicht unbedingt Japan-Fan).
Die erste Viertel Stunde überlege ich, wie ich eigentlich hierher gekommen bin. Zwei Freundinnen, beide Karate-begeistert; ihr Trainer kämpft in der deutschen Nationalmannschaft. EM praktischerweise hier in Konstanz. Was liegt da also näher, als sich am Wochenende bei mir einzuquartieren und mich - egal ob ahnungslos oder nicht - mit zur EM zu schleppen. Da sitze ich also und verstehe zunächst nichts. Gar nichts. Wann bekommt man Punkte? Wann ist der Kampf beendet? Wieso haben die Kampfrichter zwar Hemd und Krawatte, dafür aber keine Schuhe an? Kata? Kumite? Ich stehe vor unzähligen Rätseln, habe das Gefühl, die einzige "Unwissende" in der ganzen großen Schänzle-Halle zu sein. Um mich herum Menschen, die schon seit Jahren selbst Karate machen oder zumindest jemanden kennen, der bei dieser EM teil nimmt. Kein Wunder, dass ich mir fehl am Platz vorkomme.
Überhaupt wirkt das alles ein wenig grotesk auf mich: Karate-EM. Karate-Europameisterschaft. Ist das allein nicht schon ein Widerspruch in sich? Europameisterschaft in einer Sportart, die mit Europa doch eigentlich gar nichts zu tun hat, die seine Ursprünge in einem ganz anderen Land hat und doch hier so viel Zulauf und Anhänger findet, dass daraus eine Europameisterschaft entstehen kann. Menschen aus den verschiedensten europäischen Ländern, Karate-Mannschaften aus Schweden, Ukraine, Irland, Russland usw. und alle üben diesen japanischen Sport aus. Alle tragen die typischen weißen Anzüge, den Karate-Gi mit ihren Gürtel, "Obi", vorwiegend schwarz. Die japanische Flagge hängt groß an der Wand zwischen all den europäischen Fahnen. Sie hängt dort, als wolle sie daran erinnern, woher dieser Sport - mehr noch- diese Philosophie herkommt, damit dies auch niemand hier vergisst. Japan mitten in Europa, mitten in Deutschland.
Nach unzähligem Nachfragen und genauem Beobachten, habe auch ich endlich die Regeln soweit verstanden, dass ich mitbekomme, wer gewinnt, wer verliert, wer wie viele Punkte bekommt und so weiter. Dass der Arzt bei ungefähr jedem zweiten Kampf auf die Matte rennt, um einem der Karateka Watte in die Nase zu stopfen, weil er einen Schlag auf die Nase bekommen hat, scheint hier niemanden zu stören. Irgendwann macht es sogar Spaß, auf der Tribüne zu sitzen, die "Duelle" zu beobachten, anzufeuern, mitzufiebern.
Ich bin beeindruckt von dem Respekt mit dem sich hier alle begegnen: Die Kämpfer verbeugen sich vor jedem Kampf voreinander, vor den Kampfrichtern. Alle zusammen, Kampfrichter und Sportler, verneigen sich vor jeder neuen Runde vor der Wettkampfleitung. Zwar "schlägt" man sich, kämpft gegeneinander, jedoch mit einer großen Portion Respekt gegenüber dem Gegner.
Meine Freundin zeigt mir ein "hohes Tier" der deutschen Karate-Szene, ein älterer, kleiner Japaner mit langem Vollbart. Er sieht aus, als sei er einem Samurai-Film entsprungen. Er strahlt eine unglaubliche Ruhe und Ausgeglichenheit aus. Er begrüßt jeden, egal ob er ihn kennt oder nicht aufs Freundlichste. Er bringt jedem ein Lächeln entgegen. Dieser Mensch wirkt so sympathisch, dass er die Menschen um ihn herum regelrecht in seinem Bann zu ziehen scheint. Keinerlei Zeichen von Arroganz, Unzufriedenheit, er wirkt einfach mit sich selbst absolut im Reinen, als könne ihn nichts aus der Bahn werfen. Als sei er wirklich glücklich und mit seinem Leben zufrieden. Etwas, was man hier nur allzu selten antrifft. Wie kommt es, dass ein so unscheinbarer kleiner Mann so eine faszinierende Ausstrahlung besitzt? Hat es vielleicht wirklich damit zu tun, dass er wohl schon fast sein ganzes Leben damit verbringt, Karate zu machen? Und wenn ja, was genau macht die Philosophie von Karate aus, dass sie einen Menschen so beeinflussen kann? Was steckt hinter diesem Kampfsport?
Am Ende der EM fühle ich mich, als wäre ich für kurze Zeit in eine andere Welt hineingetaucht. Ich habe nun selbst erlebt, was mir schon oft erzählt wurde und ich nicht glauben konnte. Dass Karate mehr als nur ein Sport ist, eine Lebenseinstellung, eine Lebensphilosophie. Dieses Bild von Japan ist so ganz anders als das, das ich sonst sofort mit Japan assoziere. Vielleicht war diese EM ja ein erster Schritt auf der Suche nach dem "Land der aufgehenden Sonne", immerhin hat sie mir gezeigt, dass Japan vielleicht doch mehr ist als Sushi, Sailor Moon und Fotoapparate und mich doch ein bißchen neugieriger auf dieses Land und die Mentalität seiner Einwohner gemacht....
Bilderquelle:
http://www.deutscher-jka-karate-bund.de/images/karate_EM_06_Plakat.gif
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