Land der aufgehenden Sonne?

Wer Hohes ersteigen will – unten muss er beginnen. Wer Fernes erlaufen will – den ersten Schritt muss er tun. (Aus Japan)

Mittwoch, Juni 28, 2006


Der ganz normale Wahnsinn

Während es uns nahezu selbstverständlich erscheint, dass fast jeder hier in Deutschland ein Häuschen mit Garten und genug Fläche für sich und seine Familie besitzt (Bild links) oder zumindest eine Wohnung, in der jedes Familienmitglied seinen eigenen Raum hat ( von "Extremfällen" einmal abgesehen). Die deutsche "Wohnlandschaft" besteht wohl in den meisten Gegenden aus Einfamilienhäusern, mehr oder weniger idyllisch gelegen, mehr oder weniger dicht aneinander gereiht. Als Schandfleck gelten meist schon die nicht allzu attraktiven und nur minder geräumigen Plattenbauten. Doch im Vergleich zu Tokio und dem Wohnwahnsinn, der laut einem Zeitungsartikel der Süddeutschen Zeitung dort herrscht, ist selbst das noch ein äußerst wohnlicher Raum.

Die SZ schildert in ihrem Artikel den enormen Platzmangel in der Hauptstadt Japans und den daraus resultierenden Bauwahnsinn. Diese Platzknappheit macht sich in allen sozialen Schichten bemerkbar: Während bei uns die Obdachlosen meist zumindest eine Parkbank oder einen Platz unter einer Brücke finden, stehen diese in Japan Schlange, um beispielsweise einen Schlafplatz vor den Schaufenstern der Stadt zu ergattern. Es wird von einem Mann berichtet, der täglich um "seine 2,5 mal 1,5 Meter lange, rund einen Meter hohe Sperrholzschachtel" kämpfen muss, um sie vor anderen Obdsachlosen zu verteidigen.
Doch nicht nur die Obdachlosen sind von dem Platzmangel betroffen, er bestimmt das Leben nahezu aller Menschen in Tokio.

Die SZ berichtet weiter von einer Fahrschule: in den Straßen ist zu wenig Platz, als dass die Fahrschüler hier ihre Fahrstunden absolvieren könnten. Statt dessen wurde die Fahrschule auf das Dach eines Supermarktes "plaziert". Hier wurden eigens Ampeln, eine Kreuzung und sogar eine Rampe um das Anfahren am Berg zu üben, installiert. In acht bis neun Metern über dem Boden fahren zeitweise bis zu 35 Fahrschul-Mazdas im Kreis, um den Schülern das Fahren beizubringen. Motorrad-Fahrstunde wurden allerdings abgeschafft, das Risiko vom Dach zu fallen war zu groß.

Ein weiteres Beispiel, das von der SZ genannt wird ist ein Shinto-Schrein, der direkt auf einem Schnellzugtunnel steht. Der Schrein steht dort schon seit ungefähr 800 Jahren, der Tunnel wurde Anfang der 80er-Jahre gebaut. Die Gläubigen, die dort "Shobu No Kami" anbeten scheint dies nicht weiter zu stören, der Priester, der ein paar Meter vom Schrein entfernt wohnt berichtet allerdings davon, dass im Haus und im Schrein "alles vibriert" sobald ein Zug durch den Tunnel fährt und in beiden Gebäuden auf Grund der Erschütterung immer wieder Glühbirnen zerplatzen.

Doch nicht nur Schreine, selbst Friedhöfe bleiben laut SZ nicht von der Platzknappheit verschont. Ein Friedhof wurde untertunnelt, damit Autos dort passieren können und als auf einem anderen Friedhof der Platz für weitere Gräber ausging, entwickelte man eine "Rotationsanlage", in der Urnen gelagert werden. Mit einer Chipkarte können die Friedhofsbesucher die Urne ihres Angehörigen "anfordern", sie rotiert und bewegt sich auf einen Altar, danach "verschwindet die Urne auf Knopfdruck wieder im Reich der Toten". Nach dem Prinzip dieser Rotationsmaschine werden, laut SZ, auch Autos in den Parkgaragen Tokios gestapelt.

Auch ist es in Tokio wohl nicht mehr allzu überraschend, dass Menschen in Wohnungen leben, die die Grundfläche eines Autobusses besitzen: direkt über einem Busbahnhof wurden Appartements gebaut, jedes einzelne hat genau 34 qm - "die Fläche, die ein Tokioter Bus zum Parken braucht" (siehe Bild rechts).
Trotz des beschränkten Raumes, den die Maße eines Busses bieten, fühlen sich die Bewohner nicht unwohl, als störend wird in dem Artikel lediglich der Zeitpunkt bezeichnet, zu dem morgens alle Busse ihren Motor anlassen, was natürlich eine hohe Geräusch- und Geruchsbelästigung darstellt. Diesen nehmen lanjährige Bewohner allerdings schon gar nicht mehr wahr.

Die Reihe der verrückten Beispiele lässt sich scheinbar endlos fortsetzen. Es ist die Rede von Kinderheimen unter einer Autobahn, von Fußballfeldern über den Becken einer Kläranlage und einem Kino in einem Brückenpfeiler.
Tokio ist ein Spielplatz für Architekten, nirgends können sie sich wohl sonst in diesem Maße austoben wie hier, nirgends sonst ist ihr Einfallsreichtum so gefragt und nirgends sonst resultieren so "verrückte" Bauten aus Platzmangel. Für uns, in unserer Einfamilienhaus und Schrebergarten-Kultur nicht vorstellbar.
Bei all diesem Bau- und Wohnwahnsinn fällt mir der Werbeslogan eines uns allen bekannten schwedischen Möbelfabrikanten ein: "Wohnst du noch oder lebst du schon?".



Quelle:

Süddeutsche Zeitung Nr. 140, Seite 3, 21. Juni 2006


Bilderquelle:

Bild 1 (Einfamilienhaus):
http://www.massivhaus-zentrum.de/haustypen/einfamilienhaus/hbi135/haus_hbi135.php

Bild 2 (Bushaus):
http://www.dnp.co.jp/museum/nmp/madeintokyo_e/mit.html#3

Montag, Juni 19, 2006


Samurai

"They say Japan was made by a sword.
They say the old gods dipped a coral blade into the ocean and when they pulled it out, four perfect drops fell back into the sea and these drops became Japan.
I say Japan was made by a handful of brave men warriors willing to give their lives for what seems to have become a forgotten word : honor."


(Von: The Last Samurai)



"Honor", Ehre. Dass dies wichtig für die "warriors", die Samurai, ist, habe auch mittlerweile mitbekommen. Und doch ist mir in der letzten Sitzung aufgefallen, wie wenig ich eigentlich doch über Samurai, ihre "Herkunft" und ihre Bedeutung weiß.

Klar, ich habe den Film "Last Samurai" gesehen, allerdings vor Urzeiten. Ich kann mich also kaum noch erinnern. Außerdem sind solche Filme bekannterweise so gemacht, dass man sie ohne jegliche Kenntnis über eine Kultur verstehen und nachvollziehen kann und letztlich auch nicht besonders lehrreich.
Ich weiß weder, woher die Samurai "stammen" (gut, aus Japan, aber wie wurden sie "ins Leben gerufen"?), was genau ihre Aufgaben waren, usw.

Um mein "Samurai-Wissen" zu erweitern, habe ich also versucht, Informationen zu suchen und in Kurzform die Geschichte der Samurai zu beschreiben und zu begreifen:

Samurai bezeichnet eine Krieger-Kaste, die im 12. Jahrhundert in Japan entstand, bzw. deren Mitglieder.
Zu dieser Zeit führten zwei mächtige japanische Clans, die Taira und die Minamato, heftige Kriege um bewirtschaftetes Land gegeneinander und es entstand das japanische „Shogunat“.
Shogunat bezeichnet ein System militärischer Führer, der „Shogun“. Unter dem Shogun war die nächst niedrigere Hierarchie der „Daimyo“. Dies waren lokale Herrscher, vergleichbar mit europäischen Fürsten. Die Samurai waren die militärischen Diener eines „Daimyo“. Allerdings gab es auch Samurai, die keinem Herren dienten, die „Ronin“.
Wichtig für die Samurai war „Bushido“, ein Verhaltenscodex. Bushido bedeutet so viel wie „Weg des Kriegers“ und beinhaltete die absolute Loyalität gegenüber dem eigenen Herrn, also dem Daimyo.
Ein weiterer Bestandteil des Bushido war „Seppuku“, ein ritueller, ehrenhafter Selbstmord. Harakiri (wörtlich: „Magen-Aufschneiden“) war die praktizierte Form. Seppuku haben wir meiner Meinung nach in der letzten Sitzung ausführlich genug besprochen, so dass ich hier nun nicht genauer darauf eingehen möchte.
Die Idee, dass ein achtbarer Tod besser ist, als ein Leben in Schande lebt jedoch bis heute in Japan fort. Das Land hat die weltweit höchste Selbstmordrate. Japaner töten sich für misslungene Geschäfte oder weil sie ein Examen nicht bestanden haben.
Die Samurai, deren Zugehörigkeit zur Klasse übrigens vererbt wurde, hatten einige Privilegien gegenüber der „normalen“ Bevölkerung. So durften sie beispielsweise zwei Schwerter tragen (ein langes und ein kurzes), während gewöhnliche Bürger gar keine Waffen tragen durften. Zeitweise hatten die Samurai sogar das Recht, einen gewöhnlichen Bürger zu enthaupten, wenn sie von ihm beleidigt wurden.
Doch auch innerhalb der Samurai-Kaste gab es verschiedene Ränge und somit auch unterschiedliche Privilegien. Eine Rangordnung aus dem zwölften Jahrhundert unterschied drei Klassen von Samurai in „Kenin“ („Hausmänner“, sie waren Verwalter oder Vasallen), berittene Samurai (nur Samurai mit hohem Rang durften zu Pferde kämpfen) und Fußsoldaten.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts verlor das Shogunat die Kontrolle über das Land, in einem etwa 100 Jahre währenden Bürgerkrieg, hatten Feudalherren das Land unter ihre Kontrolle gebracht. Japan wurde schließlich vereinigt und woraufhin eine Reihe von Reformen eingeführt wurden, die das Leben der Samurai Klasse veränderten. So sollten Samurai nun zum Beispiel ihren festen Wohnsitz in den Burgen haben, wohingegen sie zuvor in Friedenszeiten ihr eigenes Land bewirtschaftet hatten. Außerdem wurde zur Finanzierung des neuen Systems ein Reisbesteuerungsystem eingeführt, unter dem jeder Samurai eine bestimmte Menge Reis abhängig von seinem Rang erhielt.



In den Jahren der Shogunate der Tokugawa von 1603 bis 1867 lebte Japan in Frieden, die Kriegerklasse der Samurai wurde somit „arbeitslos“, sie übernahmen deshalb andere Aufgaben, wie beispielsweise in der Bürokratie.
Als der letze Shogun 1867 abdankte, wurde der Kaiser nach Jahrhunderten wieder tatsächlicher Herrscher in Japan, das bisherige Feudalsystem und die Privilegien der Samurai wurden kurze Zeit später offiziell angeschafft. Die Daimyo mussten des Land dem Kaiser zurückgeben, sie und die Samurai erhielten Pensionen. Die Abschaffung der Samurai rief einige soziale Probleme hervor, viele konnten ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten.
In Folge dessen sammelten sich die unzufriedenen „ehemaligen“ Samurai unter Saigon Takamori, 1877 kam es schließlich zu einer offenen Auseinandersetzung zwischen den Rebellen und der Regierung. Die Samurai, ausgestattet mit traditionellen Samurai-Waffen kämpften zwar tapfer, hatten jedoch keine Chance gegen die moderne, mit westlicher Technologie ausgestatteten Armee der Regierung.
Heute besitzen Samurai keinen amtlichen Status mehr, die Nachkommen genießen jedoch nach wie vor hohe Achtung in der japanischen Gesellschaft.



Quelle:

http://www.artelino.de/articles/samurai.asp

Bilderquelle:

Bild 1:
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/thumb/4/43/Samurai.JPG/250px-Samurai.JPG

Bild 2:
http://www.artelino.de/archive/auctions_show.asp?alp=&art=0&cay=0&cp=1&evt=0&let=g1&rel=4&sea=samurai&spe=0

Montag, Juni 12, 2006


Wie japanisch sind Murakamis Bücher eigentlich?
Beispiel: Kafka am Strand

Ein 15-jähriger Junge haut von zu Hause ab, landet in einer Bibliothek, wird dort aufgenommen. Sein Vater wird umgebracht, er daraufhin von der Polizei gesucht. Beim Lesen habe ich mich immer wieder gefragt: Könnte diese Geschichte nicht genauso gut in jedem anderen Land, vor allem in einem westlichen Land spielen? Könnte man sie nicht genauso auch nach Amerika oder zu uns nach Deutschland "verpflanzen"?
Die Geschichte enthält so viele "westliche Elemente", dass nichts darauf hin zu deuten scheint, dass diese Geschichte unbedingt in Japan spielen muss und ich mich zunächst gewundert habe, wie "unjapanisch" dieser Roman, abgesehen von den Namen der Figuren, doch ist.



Fangen wir beispielsweise bei der Musik an: Kafka hört immer wieder Duke Ellington, Prince, Led Zeppelin, die Beatles (vgl. S. 50, S. 78) oder Radiohead (vgl. S. 497 Alles Bands, die so gar nicht aus Japan kommen. Bands, die uns allen ein Begriff sind, die uns in nicht fremd erscheinen, die wir - oder zumindest ich - in Japan nicht erwarten würdenOshima hört mit Vorliebe klassische Musik, bekanntermaßen am liebsten beim Autofahren. Er spricht von Komponisten wie Beethoven, Schumann oder Schubert.
Und auch Hoshino lernt im Laufe der Geschichte europäische Musik zu schätzen, in einem Café genießt er zum Beispiel, das "erste Cello-Konzert" von Haydn zu hören, seine Vorliebe gilt schließlich aber dem "Erzherzog-Trio" von Beethoven (vgl. S. 441, 443).


Auch die Autos der Figuren sind nur zum Teil japanische Fabrikate, ein deutsches Autos ist zum Beispiel zu finden, ein BMW (vgl. S.110). Des weiteren trinken die Figuren nicht unbedingt den für Japan typischen Tee, sondern auch mal - wie Sakura - "Nescafé" und manche Personen sehen auch schon mal aus, bzw. nennen sich "wie der von Fried Chicken" (S. 355), nämlich "Colonel Sanders".

Die allseits bekannte Tupperware ( S. 166) darf da natürlich ebenso wenig fehlen wie der gute, alte Whiskey "Johnny Walker". Auch wenn er hier eine vollkommen andere Funktion, als die eines Getränkes besitzt und mehr ein Deckname ist.

Gegen Ende des Buches schaut Kafka Fernseh und sieht dabei nicht - wie man vielleicht eher erwarten würde - eine in unseren Augen für Japan typische Serie wie Takeshis Castle oder ähnliches sondern "die Trapp Familie" (Vgl. S. 571), die dann auch noch "Edelweiß" singt.



Kafka beschreibt diesen Film als einen der wenigen Filme seiner Kindheit (S. 571), der ihn außerdem "fesselt". Außerdem spricht er von dem Film "Sie küssten und sie schlugen sich" von Francois Truffaut, ebenfalls kein Film, von dem man erwarten würde, dass er sich in Japan großer Bekanntschaft erfreut.

Eigentlich paradox, dass uns ein Land, das wir für so fremd und "unerreichbar" halten, uns in Murakamis´"Kafka am Strand" so normal, fast schon vertraut scheint.


Quelle:

Haruki Murakami, Kafka am Strand, Verlag: Btb, 1. Auflage, März 2006.



Bilderquelle:

Bild 1 (Buch-Cover):
http://www.amazon.de/gp/product/images/3442733235/ref=dp_image_text_0/028-5844442-4852569?ie=UTF8

Bild 2 (Radiohead):
http://www.musicnotes.com/images/features/artists/radiohead/radiohead_big.jpg

Bild 3 (Trapp-Familie):
http://www.schnitt.de/_images/tvtip/trapp-familie_in_amerika__die.jpg

Sonntag, Juni 04, 2006

WM 2006 - auch dabei: Japan

SZ-Magazin vom 02. Juni 2006:
Überschrift: "Ballzauber - Damit unsere Mannschaft gewinnt, drücken wir Deutschen traditionell die Daumen. Doch unsere Gegner unterstützen ihre Teams mit wesentlich raffinierteren Methoden. Neun Beispiele."

Unter anderem, ein Beispiel:
Japan: "Ein Shinto-Schrein für den Gott der Ballspiele Seidaimyojin fehlt während der WM in keinem japanischen Haushalt. Davor muss ein Fußball liegen."
Alles klar, denke ich mir.... Gott der Ballspiele..... Schrein um Weltmeisterschaften zu gewinnen.... Ball vor den Schrein legen...... ja spinnen die denn?

Erstens: welcher Kulturkreis hat denn ernsthaft einen Gott, der für Ballsportarten "zuständig" ist und zweitens: wie verrückt muss man sein, um diesem Gott auch noch einen Schrein mit beigelegten Fußball zu errichten!?
Das kann doch nicht sein, also suche ich weiter. Gibt es wirklich einen Fußballgott???

Und ich finde:
"Auch der ferne Osten sichert sich sakral ab. Seidaimyojin ist der Gott der Ballspiele. Ihm bringen die Japaner zum berühmten Shiramine Shinto-Schrein in Kyoto unzählige Opfergaben. Ein extra gefertigter Schrein ist im Stadtmuseum zu sehen. Vor dem zierlichen Holztempel mit Vasen, Löwen, Schalen und Schriftfahnen thront ein niegelnagelneuer Fußball." (http://www.merkur-online.de/nachrichten/kultur/kunstakt/art282,667378.html?fCMS=1c91383c3623dd80a0f297f183d641fd)

Es scheint ihn tatsächlich zu geben, bzw. viel mehr, die Menschen, die daran glauben, dass ihn gibt, den Fußballgott.
Dies alles gehört wohl eher wieder in die Kategorie "was wir an Japan überhaupt nicht verstehen".
Wie sehr der Gott der Ballspiele der japanischen Mannschaft beisteht, wird sich wohl in den nächsten Wochen zeigen.